Weitere Publikation zur Nachkriegsgeschichte der beiden deutschen Innenministerien liegt vor
Am 1. April 2019 erschien im Wallstein-Verlag die zweite Veröffentlichung zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945 (hg. von Frank Bösch und Andreas Wirsching). In seiner Studie „Die Stunde der Exekutive“. Das Bundesinnenministerium und die Notstandsgesetze 1949-1968 richtet Dr. Martin Diebel seinen Blick auf die internen Notstandspläne des Bundesinnenministeriums.
Weitreichende Vollmachten für die Bundesregierung im Notstandsfall
Durch die Erschließung bisher als „geheim“ und „streng geheim“ eingestufter Akten aus den Beständen des Bundesinnenministeriums konnte erstmals ein umfassendes Bild der exekutiven Notstandspläne gezeichnet werden.Bis 1968 bildete die sogenannte Alliierte Proklamation die Grundlage für alle exekutiven Sondervollmachten im Falle eines Notstands – sei es der Atomkrieg oder der innere Ausnahmezustand. Im Prinzip fungierte das auf wenige Paragrafen und nur eine Papierseite begrenzte Dokument als eine Fortsetzung des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung. In letzter Konsequenz ermächtigte die Proklamation die Bundesregierung zum Erlass von Notverordnungen – ohne jedwede parlamentarische Kontrolle.
Die alliierte Proklamation bildete die provisorische Basis zur Ausarbeitung verschiedenster Notverordnungen auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Zivilverteidigung oder des Staatsschutzes. Dabei war die von der BMI-Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ verantwortete Notverordnung zu Sicherheitsmaßnahmen nicht nur die inhaltlich umfassendste Notverordnung, sondern gleichzeitig die rechtsstaatlich sowie demokratisch fragwürdigste. Sie – wie auch die Notverordnungen zur Pressezensur – waren durchdrungen vom autoritären und obrigkeitsstaatlichen Geist der vergangenen Jahrzehnte. Nicht selten wollten die BMI-Beamten der Bundesregierung diejenigen Notstandsinstrumente an die Hand geben, die bereits der NS-Diktatur zur Niederschlagung ihrer politischen Gegner gedient hatten.
Langwieriger Lern- und Anpassungsprozess
Doch längst nicht alle Beamten zeigten sich überzeugt von diesen weitreichenden Planspielen. Insbesondere die Mitarbeiter der Verfassungsabteilung meldeten gemeinsam mit ihren Kollegen aus dem Bundesjustizministerium Bedenken ob der weitreichenden Notstandsvollmachten an. Allerdings stießen sie sich weniger an der Beschneidung verfassungsmäßig fixierter Freiheiten, sondern argumentierten vielmehr juristisch. Die Sonderbefugnisse der Bundesregierung für den Notstandsfall sollten auf einer rechtlich einwandfreien Basis stehen;– und diese Grundlage bot allein das Grundgesetz. Insofern kann für einen Teil der BMI-Beamten tatsächlich von einem – freilich begrenzten – Lernprozess gesprochen werden.
Insgesamt ist für das Bundesinnenministerium von einem Anpassungsprozess zu sprechen.Die jahrelange Kritik der Sozialdemokraten, ohne die eine Grundgesetzänderung nicht umzusetzen war, die Proteste der außerparlamentarischen Opposition sowie die Propaganda der DDR, die mit ihren Veröffentlichungen bundesrepublikanischer Notstandspläne dem verbreiteten Widerstand gegen die Grundgesetzänderung weitere Schlagkraft verlieh, zwangen die BMI-Beamten zum sukzessiven Abbau ihrer weitreichenden Pläne für den Ausnahmezustand.
Am Ende stand ein Notstandsrecht, das in vielerlei Hinsicht mit autoritär-obrigkeitsstaatlichen Traditionen gebrochen hatte.