Das Bundesinnenministerium und die innere Sicherheit

Dr. Dominik Rigoll

Innere Sicherheit in Deutschland. Der lange Weg zur „streitbaren Demokratie“

Seitdem die Karlsbader Beschlüsse 1819 im Deutschen Bund eine „Centralbehörde“ zur „Erhaltung der inneren Sicherheit” schufen, verging in Deutschland kein Jahr, in dem nicht nach den „inneren Feinden“ der Staats- oder Verfassungsordnung gefahndet wurde. Doch verstand sich das, was „innere Sicherheit“ jeweils bedeutete, nie von selbst: Weshalb wurden bestimmte Gruppen in bestimmten Kontexten zu „inneren Feinden“ erklärt? Unter welcher Bedingung konnten sie diesen Status wieder verlieren?

Tatsächlich besteht in komplexen Gesellschaften selbst in Zeiten relativer Stabilität nie Einigkeit darüber, wer als „innerer Feind“ anzusehen ist und wie diese politisch definierte Gruppe durch Exekutive und Judikative behandelt werden soll. Wie „innere Sicherheit“ ausbuchstabiert wird, ist ein politischer Kompromiss, dessen Ausgestaltung auch von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen des Moments abhängt – ganz gleich, ob das Sicherheitsregime demokratisch ausgehandelt oder erzwungen wird.

Gegenstand des Buchprojekts ist der stete Konflikt um die adäquate Identifikation und Konstruktion „innerer Feinde“ durch staatliche und gesellschaftliche Akteure seit der Entstehung deutscher Nationalstaatlichkeit. Der Fokus liegt auf der westdeutschen Entwicklung, die ausgehend von ehemaligen Geheimakten aus der Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ des Bundesinnenministeriums untersucht wird. Diese Schaltzentrale der „streitbaren Demokratie“ konzipierte nicht nur die innere Sicherheitspolitik des Ministeriums, sondern hatte auch die Fachaufsicht über das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesgrenzschutz inne.

 

Umarmungstaktik. Wie das Bundesinnenministerium mit Rechtsextremen umging

Es zählt zu den Binsenweisheiten linker Gesellschaftskritik, dass die bundesdeutschen Sicherheitsorgane auf dem rechten Auge seit jeher blind seien. Ein Blick in die Archive aus der Zeit des Kalten Krieges zeigt jedoch, dass dieser Befund nicht wirklich zutrifft. Politik und Behörden übersahen die in Westdeutschland aktiven Rechtsextremen in der Regel nicht – sie gingen mit ihnen nur vollkommen anders um als mit Gruppierungen aus dem linken Spektrum oder mit so genannter Ausländerkriminalität. Zeigten sie sich beim Kampf gegen die „rote“ und die „ausländische“ Gefahr sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in der politischen Praxis tendenziell unnachgiebig, wandten sie bei der radikalen Rechten in vielen Fällen eine Umarmungstaktik an – eine Mischung aus punktueller Abgrenzung und breit angelegtem Appeasement.

Zwar wurden auch rechtsextreme Parteien und Vereinigungen verboten, häufiger gingen Politik und Behörden jedoch auf die Rechten zu. Dies geschah zum einen, indem Parteien- und Behördenvertreter mit Angehörigen rechter Gruppen kommunizierten, in der Hoffnung, sie auf einen mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Kurs bringen zu können. Zum anderen registrierten die Parteien der politischen Mitte genau, wenn eine rechtsextreme Forderung bei der eigenen Klientel auf Anklang stieß und integrierten diese mitunter ins eigene Programm. Beide Formen der (versuchten) Integration waren freilich umstritten. Insbesondere auf der politischen Linken, in migrantischen und Verfolgten-Gruppen pochte man auf Exklusion. Mit Argwohn betrachtet wurde die Umarmungstaktik aber auch von den Alliierten, im westlichen Ausland und in der DDR.

Gegenstand der Studie ist der innerdeutsche und teilweise auch transnationale Konflikt um die Frage nach dem angemessenen Umgang mit der „braunen Gefahr“ vor dem Hintergrund der Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus. Als Fallbeispiel dient mit dem Bundesministerium des Innern ein zentraler Player der „wehrhaften Demokratie“, bei dem viele Fäden zusammenliefen. In welchen Fällen und mit welcher Begründung entschieden sich Politik und Behörden für das Verbot rechtsextremer Vereinigungen und die Strafverfolgung ihrer Mitglieder? Wann und weshalb verfolgten sie die eingangs skizzierte Umarmungstaktik? Trifft die verbreitete Annahme zu, dass die relative Nachgiebigkeit gegen Rechts vor allem auf NS-Kontinuitäten und den Kalten Krieg zurückzuführen ist? Welche anderen Gründe gab es? War die Umarmungstaktik nach zeitgenössischen Maßstäben ein politischer Erfolg oder ein Misserfolg?