„Die Stunde der Exekutive“. Das Bundesinnenministerium und die Notstandsgesetze 1949–1968

Dr. Martin Diebel

Ziel der Arbeit ist es, die Geschichte zur Notstandsgesetzgebung um eine sicherheitsgeschichtliche Perspektive zu erweitern. Dieses Vorgehen verspricht einen Erkenntnismehrwert, nimmt es doch eine in diesem Zusammenhang bislang weniger gut erforschte zentrale Akteursgruppe in den Blickpunkt: die Beamten des Bundesinnenministeriums. Bisherige Studien konzentrierten sich vor allem auf die Gegner der Notstandsgesetze (Gewerkschaften, Sozialdemokraten, Intellektuelle, Studenten) und weniger auf die Autoren und Praktiker der Notstandspolitik. Das Liberalisierungs- wird durch ein Sicherheitsparadigma ergänzt; es war eben nicht nur die Frage, wieviel Sicherheit verträgt eine Demokratie, sondern ebenso stark trieb die Befürworter der Notstandsgesetzgebung die Frage um, wieviel Demokratie und Freiheit eine Gesellschaft, ein Staat im Ausnahmezustand verkraften kann.

Das etatistische Denken, das keineswegs auf konservative Politiker und Staatsrechtler beschränkt war, bestimmte in den 1950er Jahren die Notstandspolitik. Deutlich werden, wie stark die Sicherheits- und Bedrohungsvorstellungen der Beamten nicht nur vom deutsch-deutschen Systemkonflikt, sondern auch von den Erfahrungen sowie Deutungen der Weimarer Republik bestimmt waren. Gleichzeitig spielte der kriegsbedingte Notstand eine untergeordnete Rolle, stand zu Anfang der 1950er Jahre doch die innere Stabilität der Bundesrepublik im sicherheitspolitischen Fokus. Erst im Zuge der zunehmenden internationalen verteidigungspolitischen Integration und mit dem Aufbau der Bundeswehr rückte der kriegsbedingte Notstand in den Mittelpunkt. In Gestalt der nunmehr so genannten Zivilverteidigung verschwammen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit.

In der Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Normen sowie der Öffentlichkeit durchliefen die Beamten, so die These, einen schrittweisen Anpassungs- und schließlich Lernprozess. Dabei muss jedoch, das zeigen die bisherigen Ergebnisse, zwischen den einzelnen Abteilungen unterschieden werden. Während die Sicherheitsabteilungen (Zivilverteidigung und insbesondere Öffentliche Sicherheit) der Sicherheit des Staates stets Priorität einräumten und demokratischen sowie liberalen Prinzipien im Ausnahmezustand einen geringeren Stellenwert beimaßen, stellte sich die Verfassungsabteilung mit Verweis auf das Grundgesetz allzu weitgehenden staatlichen Eingriffen entgegen. Letztlich lag die Entscheidungsgewalt allerdings bei der Politik.

Doch lässt sich auch hier im Konflikt mit den politisch-gesellschaftlichen Gegenkräften ein Umdenken feststellen, das letztlich Einfluss auf die Notstandspolitik zu nehmen vermochte. Ohne dass dies in der Absicht des Bundesinnenministers und einer Mehrheit seiner Beamten lag, gaben sie ursprünglich als nicht verhandelbar deklarierte Positionen sukzessive auf. Paradoxerweise strebte der Konflikt um die Notstandsgesetzgebung genau zu dem Zeitpunkt seinem Höhepunkt zu, als unter Innenminister Paul Lücke die umstrittensten Ausnahmerechte für den Notstand entfielen. Worin die Ursachen für diese Entwicklung lagen, welche Rolle die DDR-Propaganda hierbei spielte und wie sich die Beamten demgegenüber positionierten, sind weitere wichtige Fragen.

Am 1. April 2019 erschien das Buch „Die Stunde der Exekutive“. Das Bundesinnenministerium und die Notstandsgesetze 1949-1968″ im Wallstein-Verlag. Es ist der zweite Band in der von Frank Bösch und Andreas Wirsching herausgegebenen Reihe „Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945“.