Ergebnisse: Hüter der Ordnung – Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus

Mehrheit der BMI-Mitarbeiter aus der Bürokratie des Nationalsozialismus

Photo der Gebäudes des BMI von 1955.

Das Gebäude des BMI im Jahr 1955 in der heutigen Graurheindorfer Straße 198.
(Quelle: Bundesregierung/Rolf Unterberg)

Im Bundesinnenministerium stammte zwar nur ein Zehntel der Beamten aus dem Reichsinnenministerium, jedoch die Mehrheit aus der Bürokratie des Nationalsozialismus. Meist waren dies Juristen aus der kommunalen Verwaltung, deren Berufseinstieg während der NS-Diktatur erfolgte. Während Belastete anfangs eher untergeordnete Posten erhielten, waren um 1960 zwei Drittel der leitenden Mitarbeiter (ab Referatsleiter) ehemalige NSDAP-Mitglieder und fast die Hälfte vormals Angehörige der SA. Zwar mussten Bewerber über ihren Lebenslauf Rechenschaft ablegen, allerdings wurden die Angaben kaum überprüft. Nicht wenige Beamte vermochten daher wesentliche Teile ihrer NS-Vergangenheit zu verschweigen.

Kontinuitäten auch im sachpolitischen Handeln des Bundesinnenministeriums

Demonstration gegen die Notstandsgesetzgebung am 11. Mai 1968 im Bonner Hofgarten.
(Quelle: Bundesregierung/Jens Gathmann)

Die Beamten passten sich der neuen demokratischen Ordnung an. Dennoch bestanden oftmals etatistisch-autoritäre, nationalistische und antikommunistische Denkmuster fort, die teils auch auf die Zeit von vor 1933 zurückzuführen sind. Diese Prägungen schlugen sich in ihrer politischen Arbeit nieder. Der Band weist nach, wie Entwürfe des Bundesinnenministeriums an öffentlichen Protesten und dem Veto anderer politischer Akteure scheiterten – wie etwa die Planungen zum Notstand, zum Presserecht oder zur Verfassung eines vereinigten Deutschlands. Auch gegenüber jüdischen Flüchtlingen traten die Beamten in den 1950er Jahren für eine harte Linie ein. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit und der außerministeriellen Akteure führten mit dazu, dass die Beamten Politik stärker als Aushandlungsprozess begriffen, was auch bei ehemaligen NS-Beamten demokratische Lern- und Anpassungsprozesse in der Verwaltung förderte.

Alt-Kommunisten und junge Kader im Ministerium des Innern der DDR

Der ab 1949 vom Ministerium des Innern der DDR genutzte Gebäudekomplex in der Berliner Mauerstraße im Jahr 1929, abgebildet auf einer Postkarte. Seinerzeit waren die Häuser Sitz der Zentrale der Deutschen Bank in Berlin.
(Quelle: Deutsche Bank, Historisches Institut)

Während das Bundesinnenministerium am traditionellen Beamtentum festhielt, erfolgte im Ministerium des Innern ein kompletter Umbau, um den Einfluss der SED zu stärken. Im Osten übernahmen Alt-Kommunisten und unbelastete junge Kader die Leitungsposten. Mitte der 1950er-Jahre waren dennoch rund ein Zehntel der leitenden Mitarbeiter ehemalige NSDAP-Mitglieder. Trotz des meist administrativ unerfahrenen Personals gelang es rasch, eine Polizeiverwaltung und Bürokratie aufzubauen, die die Machtstellung der SED sicherte. In spezifischen nicht-polizeilichen Bereichen stütze sich das Ministerium auch auf Experten, die bereits im Nationalsozialismus Karriere gemacht hatten. So waren beispielsweise im Archivwesen knapp ein Drittel der leitenden Mitarbeiter ehemalige NSDAP-Mitglieder.

Zentralisierung der Polizeiverwaltung im DDR-Innenministerium

MdI-Mitarbeiter Generalleutnant Rudolf Tittelbach vor Offiziersschülern der Volkspolizei im Jahr 1982.
(Quelle: SLUB Dresden/Deutsche Fotothek/Günter Ackermann)

Das MdI vertrat eine umfassende Vorstellung von „Sicherheit und Ordnung“, die mit dem traditionellen „bürgerlichen“ Paradigma der bloßen Abwehr von Gefahren brach. Die Mitarbeiter legten stattdessen ein extensives Sicherheitsverständnis zugrunde, das an möglichst weitreichender Prävention ausgerichtet war. Es sollte eine an sozialistischer Wohlfahrt orientierte Ordnung ermöglichen. Dieses Wohlfahrtsversprechen, das zugleich eine Entgrenzung polizeilicher Arbeit legitimierte, verschärfte die innenpolitische Kontrolle und Überwachung durch das MdI.

Prägungen, Selbstverständnis und Verwaltungskulturen im deutsch-deutschen Vergleich

Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin hatten sich beide, trotz der systemischen Unterschiede, mit dem Erbe ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie beobachteten die personalpolitischen Vorgänge der Gegenseite genau und reagierten auf jeweilige Propagandamaßnahmen.

Die Abgrenzung von einander berührte auch das jeweilige Selbstverständnis der Ministerialverwaltungen. Im Westen dominierte eine Selbstwahrnehmung der Beamten als unpolitische Verwaltungsexperten, die an etatistische Traditionen seit dem Kaiserreich anknüpfte und von einem entschiedenen Antikommunismus angetrieben war. Im MdI herrschte dagegen ein dezidiert politisches Selbstverständnis vor, das sich am Ideal des „Berufsrevolutionärs“ orientierte.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zeigen sich zudem beim Blick auf die Verwaltungskulturen beider Ministerien. Beide Staaten knüpften anfangs organisatorisch an die Ministerialbürokratie vor 1933 an, die grundsätzlich im Nationalsozialismus fortbestanden hatte. Während die bundesdeutsche Ministerialbürokratie an bisherigen Organisationsformen stärker festhielt, fand im MdI ein rascher Umbau der Verwaltungskultur statt. So trat neben das Prinzip der Schriftlichkeit zunehmend ein mündliches, durch militärische Logiken geprägtes Entscheidungsverfahren.

Zweierlei Neuanfänge

Im Nachhinein wirken die Folgen des unterschiedlichen Umgangs mit der Vergangenheit paradox: Die Bundesrepublik schuf mit dem belasteten Personal aus dem Nationalsozialismus eine Demokratie, die DDR dagegen mit neuem unbelasteten Personal eine Diktatur. Obwohl die DDR unerfahrenes Personal einstellte, entwickelte sich eine recht funktionsfähige Ministerialverwaltung. Dass beide Neuanfänge im Sinne der jeweiligen Systemlogik gelangen, spricht letztlich für die große Anpassungsfähigkeit der Ministerialbürokratie.

Eine ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse finden Sie hier. Das Inhaltsverzeichnis der Studie finden Sie hier.